Diskussionspapier der Zentralen der politischen Bildung zu den Planungen der Bundesregierung
Zur Ausweitung des Programms „Demokratie leben“, zur Etablierung eines „Nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus (NPP) und zur Schaffung eines Demokratiefördergesetzes
(Mehrheitlich darauf verständigt auf der Leitungskonferenz der Zentralen für politische Bildung am 29.01.2018)
1. Die Bereitstellung von mehr als 120 Mio. Euro von Seiten des Bundes für Angebote der politischen Bildung auf kommunaler, Länder- und Bundesebene ist sehr zu begrüßen und macht deutlich, wie groß der Bedarf an Angeboten der politischen Bildung angesichts der gesellschaftlichen und politischen Umbrüche ist. Zudem wird deutlich, wie sehr dieser Bereich - insbesondere als Folge staatlicher Konsolidierungsbemühungen - in den letzten Jahren finanziell unterausgestattet war und noch immer ist.
2. Ebenso ist es positiv, dass sich aufgrund der Sondermittel des Bundes seit 1998 ein Spektrum neuer Träger und Anbieter politischer Bildung entwickeln konnte. Diese leisten eine wichtige und notwendige Arbeit insbesondere in den Bereichen der Beratungsarbeit für die lokale Zivilgesellschaft und für Opfer rechtsextrem motivierter Gewalt. Politische Bildung verfolgt bereits seit Langem einen interdisziplinären Ansatz. Die neue Akteurslandschaft bietet Potenzial für Synergien und die gemeinsame Entwicklung neuer Handlungsansätze.
Der rapide Aufwuchs der Programme innerhalb der letzten drei Jahre und die spezifische inhaltliche Ausrichtung der Bundesprogramme schaffen aber nach unserer fachlichen Einschätzung eine Reihe struktureller und inhaltlicher Probleme. Auf diese möchten wir hinweisen, auch weil wir davon ausgehen, dass diese nicht intendiert waren und sind.
3. Strukturelle Probleme
In den Bundesländern und auf kommunaler Ebene nehmen wir die Gefahr wahr, dass durch die Landesdemokratiezentren, die Modellprojekte und die lokalen Partnerschaften Parallelstrukturen unter dem Label „Demokratiepädagogik“ entstehen, die häufig sogar besser ausgestattet sind als die traditionell gewachsenen und dauerhaft angelegten Strukturen der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung und teilweise auch der Landeszentralen für politische Bildung. Zudem führt die Verpflichtung einer 20-prozentigen Ko-Finanzierung der Projekte dazu, dass noch vorhandene lokale Mittel bzw. Landesmittel nicht mehr für eigene Schwerpunktsetzungen genutzt werden, sondern zur Absicherung der Angebote im Rahmen der Bundesprogramme und zur Einwerbung weiterer Bundesmittel verwendet werden.
Dies geht soweit, dass einzelne Träger von Modellprojekten als Konkurrenz zu langjährig geförderten Projekten des Landes auftreten, da sie mit Unterstützung der Bundesmittel ähnliche oder gleiche Angebote vorhalten. Für die Adressaten der Bildungsangebote, aber auch für viele Multiplikatorinnen und Multiplikatoren politischer Bildung (inklusive der Medien) führt dies zu einer verwirrenden Unübersichtlichkeit.
4. Inhaltliche Probleme
Politische Bildung ist immer Förderung der politischen Teilhabe und Prävention von problematischen Einstellungen und Handlungsweisen. In der über 60jährigen Geschichte der politischen Bildung in Deutschland hat sich eine deutliche Schwerpunktsetzung auf die Einladung und Motivation zur Teilhabe bewährt. Angesichts der zunehmenden Abwendung von demokratischen Strukturen und Prozessen und angesichts der zunehmenden sozialen Ungleichheit politischer Teilhabe halten wir es für dringend geboten, in der politischen Bildung den Schwerpunkt auf die Förderung von politischer Teilhabe zu legen. Bestimmte Gruppen der Bevölkerung - insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene - kann politische Bildung nicht erreichen, wenn sie diese als „Demokratiegefährder“ adressiert. Politische Bildung leistet schwerpunktmäßig primäre Präventionsarbeit, indem sie die demokratischen Grundwerte und menschenrechtliche Normen verständlich macht und auf eine zivile demokratische Grundhaltung abzielt. Projekte und Maßnahmen, die ihre Schwerpunkte in der sekundären Prävention bzw. Intervention haben, können diese Aufgabe nicht bewältigen.
5. Einbindung der neuen Träger in die Fachdiskurse der politischen Bildung
Von der Förderung von Modellprojekten und „bundeszentralen“ Trägern haben zwar auch viele gut eingebundene Strukturen der politischen Bildung profitiert. Zugleich sind auch neue Trägerstrukturen entstanden, die zum Teil bisher nur unzureichend in die Fachdiskussionen der politischen Bildung, z. B. über bestehende Trägerstrukturen, eingebunden sind. Diese fehlende Einbindung kann auch nicht durch die neu aufgebauten und oft ebenso wenig eingebundenen Landesdemokratiezentren aufgefangen werden. Wir sehen die Gefahr, dass die Qualitätsstandards bei einigen Trägern nicht gewährleistet sind und auf diese Weise in zahlreichen Angeboten die Fachstandards der politischen Bildung unterlaufen werden. Fachstandards wie der Beutelsbacher Konsens, die Interessen- und Erfahrungsorientierung (Subjektperspektive, Erschließung der Themen aus der Perspektive der Teilnehmenden), Handlungsorientierung, ein weit gefasstes Verständnis von Indoktrinationsverbot, Multiperspektivität und Überparteilichkeit sowie die Nicht-Neutralität der politischen Bildner müssen auch in den durch die Bundesprogramme geförderten Projekten und Maßnahmen eingehalten werden. Eine intensive Vernetzung sowie ein systematischer Wissens- und Erfahrungstransfer mit den Landeszentralen für politische Bildung als die zentralen Kompetenzträger auf Landesebene können zur Qualitätssicherung beitragen.
6. Wir halten es aus fachlicher Sicht für einen Fehler, dass der starke Ausbau der Sonderprogramme des Bundes nicht einhergeht mit einer angemessenen Anpassung der Förderung bestehender Trägerstrukturen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene, z.B. der Förderung durch den Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) sowie der Bereiche politische Jugendbildung und Jugendverbandsarbeit.
Wir appellieren daher dringend – auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Bundesprogrammes über das Jahr 2018 hinaus –, in folgenden Bereichen umzusteuern:
1. Nutzung der Mittel, um bestehende Strukturen der politischen Bildung dauerhaft zu stärken.
2. Demokratieförderung nicht unter dem Zweck der Gefahrenabwehr, sondern als Einladung zur Mitgestaltung unseres demokratischen Gemeinwesens zu verstehen.
3. Auch die Präventionsangebote weit zu fassen und sie nicht auf Intervention zu reduzieren.
4. Einbindung der Bundesprogramme in die bestehenden Fachdiskurse der politischen Bildung und – soweit noch nicht geschehen - Beteiligung etablierter Akteure (z.B. der Landeszentralen) bei der Mittelvergabe und Evaluation von Projekten und Maßnahmen.
5. Stärkung des Theorie-Praxis-Austauschs und Intensivierung der Forschung und Lehre im Bereich der nicht-schulischen politischen Jugend- und Erwachsenenbildung.