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Jugendbeteiligung vor Ort: Bedeutung, Formen und Herausforderungen

Welche Bedeutung hat politische Jugendbeteiligung für Demokratie und wie kann diese aussehen? Diese Fragen beantwortet Julia Zilles.


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Bild mit Schriftzug "Entdecke deine Superpower für eine bessere Zukunft"

1. Die Bedeutung von Partizipation - insbesondere für Jugendliche

Eine lebendige Demokratie braucht die aktive Beteiligung aller Mitglieder der Gesellschaft. Für das demokratische Gemeinwesen und gute politische Entscheidungsfindung ist der Input möglichst vieler spezifischer Interessen, Sichtweisen und Lebenslagen wichtig. Für viele Menschen sind Wahlen ein Mittel, um sich demokratisch zu beteiligen und politischen Einfluss zu nehmen; doch klammern Wahlen auch zahlreiche Personengruppen aus. Neben Menschen, die wegen ihrer Nationalität in Deutschland nicht wahlberechtigt sind, betrifft dies vor allem junge Menschen, die aufgrund ihres Alters noch nicht wählen dürfen. Sie sind jedoch die Zukunft einer jeden Gesellschaft, weshalb es ungemein wichtig ist, gerade ihnen Möglichkeiten zu eröffnen, sich politisch einzubringen und im Sinne politischer Bildung Demokratie zu erlernen und zu erleben, auch Selbstwirksamkeit zu erfahren.

Kinder und Jugendliche sind kreativ; ihre Ideen, Haltungen und Themen müssen Eingang in politische Entscheidungsfindungsprozesse und die Gestaltung ihres lokalen Umfelds finden. So ist das Recht auf Beteiligung eines der vier Grundprinzipien der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. [1] Um wirksam zu sein, müssen Beteiligungsformate für Kinder und Jugendliche gewissen Qualitätsstandards [2] genügen – etwa integrativ, diversitätssensibel und barrierearm sein und alle jungen Menschen einbeziehen. Besonders relevant ist dies, um einer bedrohlichen Dynamik entgegenzuwirken: dass sich in der Vergangenheit bei Partizipationsangeboten insgesamt häufig keine sozial ausgewogene Teilnehmendenschaft erreichen ließ. Wenn dies der Fall ist, ist es viel wahrscheinlicher, dass die Ergebnisse nur einen Teil der gesellschaftlichen Interessen berücksichtigen und nicht vertretene Lebensrealitäten, Wünsche und Ressourcen ausblenden.

So beteiligen sich Menschen mit höherer Bildung, höherem Einkommen und vor allem mehr verfügbarer Zeit in der Regel weitaus häufiger als der Bevölkerungsdurchschnitt. Zudem nehmen mehr Männer als Frauen an Beteiligungsformaten teil. Um dieser seit Langem in der Forschung sichtbaren sozialen Ungleichheit zu begegnen, ist es gerade im Bereich der Kinder- und Jugendbeteiligung äußerst wichtig, eine lokale Partizipation zu ermöglichen und zu fördern, die diversitätssensibel und zugänglich ist. So macht es beispielsweise einen Unterschied, wenn es um die Gestaltung öffentlicher Spielflächen für Kinder und Jugendliche geht, ob sich nur junge Menschen, die in Häusern mit eigenem Garten wohnen, beteiligen oder auch jene, die in kleinen Mietwohnungen leben. Auch sprachlich sollte der Zugang zu Partizipationsangeboten sehr zugänglich gestaltet sein. Doch welche Möglichkeiten der Beteiligung vor Ort gibt es überhaupt?

Schmuckgrafik mit einer Reihe an Karikaturen zu politischen Beteiligungsformen   Bildrechte: LpB Nds
Bild mit Schriftzug "Politische Beteiligungsformen", darunter sind diverse Kacheln mit Karrikaturen von Beteiligungsformen zu sehen, beispielsweise von einem Wahlzettel oder einer Demonstration

2. Unterschiedliche Arten von Partizipation

Beteiligungsformate unterscheiden sich hinsichtlich vieler Faktoren: Wie viele Menschen werden benötigt? Wie viel Zeit ist zu investieren? Ist das Engagement eher punktuell oder langfristig? Und kostet es Geld? Findet das Format in Präsenz, online oder hybrid statt? Gibt es Altersbeschränkungen? Werden bestimmte Materialien benötigt?

Grundsätzlich lässt sich zwischen Partizipationsangeboten unterscheiden, die zum einen von offiziellen Institutionen angeboten werden und zu denen Personen(-gruppen) eingeladen werden, und zum anderen solchen, bei denen Menschen ohne Einladung selbst aktiv werden (im Original bei Eefie Cuppen wird von self-invited vs. invited participation gesprochen). [3] Mit Blick auf Kinder und Jugendliche sind Beispiele für die erste Kategorie organisierte Jugendforen, kommunale Kinder- und Jugendbeteiligungsgremien wie Jugendparlamente oder wählen zu gehen beziehungsweise sich für Ämter zur Wahl zu stellen. Aber auch die Mitarbeit in Organisationen wie etwa Parteien, Initiativen, NGOs, Vereinen, Jugendverbänden oder Netzwerken fällt darunter. Beispiele für selbst organisierte und initiierte Partizipationsangebote sind etwa das Organisieren von oder die Teilnahme an Demonstrationen, Aktionstagen oder Versammlungen, die Veröffentlichung eigener Inhalte, ebenso das Kommentieren im Internet oder in (eigenen) Printmedien. Auch die Gründung von Organisationen oder Netzwerken sowie das Initiieren von Petitionen, Unterschriftenlisten oder Social-Media-Kampagnen zählen dazu.

Welche Beteiligungsform letztlich genutzt wird, hängt vom Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren ab. So beschreibt etwa auch der aktuelle, vierte Engagementbericht der Bundesregierung unterschiedliche Schwellen (u.a. soziale Ungleichheit, finanzielle Hürden, fehlende freie Zeit und verfügbare Orte) und fordert eine „schwellen-sensible Engagementkultur“. [4] Die Vielfalt der potentiellen Angebote zeigt aber auch, dass grundsätzlich für alle Menschen ansprechende und zugängliche Formate existieren, diese aber auch proaktiv beworben und sich um eine diverse Teilnehmendenschaft bemüht werden muss. Über eine gute Mischung wird es wahrscheinlicher, dass sich Personen mit diversen Hintergründen engagagieren und sich so bessere Ergebnisse erzielen lassen.

3. Zur Ambivalenz von Beteiligung

Beteiligungsmöglichkeiten sind allerdings immer auch ambivalent und dürfen keineswegs als Allheilmittel betrachtet werden. [5] Sie sind voraussetzungsreich und müssen Gütekriterien erfüllen, um langfristig wirksam zu sein. [6] Ganz zentral sind hierbei die Kriterien Ehrlichkeit und Transparenz: Um was geht es genau? Zu welchen Fragen kann etwas mitentschieden werden und zu welchen nicht? Was passiert mit den Ergebnissen? Übt das Beteiligungsverfahren direkten Einfluss aus oder ist es eher beratend?

Können beispielsweise Verwaltung und Politik nicht sicherstellen, dass die Resultate von Beteiligungsprozessen auch Eingang in politisches Handeln finden, kann es bisweilen sinnvoller sein, auf die Organisation von Beteiligungsprozessen durch die Verwaltung zu verzichten. Für ungenügende Partizipationsverfahren hat aktuelle Forschung negative Effekte festgestellt. So sind Frustrationserfahrungen regelrechtes Gift für die politische Kultur und – mit Blick auf Kinder und Jugendliche – in besonderem Maße für politische und demokratische Sozialisation. Aus demokratiepolitischer Sicht ist es zudem zentral, dass die Möglichkeit zur inklusiven, diskriminierungssensiblen und diversitätsorientierten Beteiligung der Gesellschaft in ihrer gesamten Pluralität proaktiv angeboten wird, damit Angebote für junge Menschen nicht Akteur_innen überlassen werden, die antidemokratisch orientiert sind.

Zur Autorin:

Julia Zilles (M.A.), ist wissenschaftliche Koordinatorin für den gesellschaftswissenschaftlichen Forschungsbereich des Energie-Forschungszentrums Niedersachsen (EFZN). Sie hat Politikwissenschaft, Philosophie und Germanistik studiert und forscht zu lokalen Konflikten im Kontext der Energiewende am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V.



[1] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: VN-Kinderrechtskonvention, 2018, URL: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/kinder-und-jugend/kinderrechte/vn-kinderrechtskonvention/vn-kinderrechtskonvention-86544 [eingesehen am 04.02.2025]

[2] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Qualitätsstandards für Kinder- & Jugendbeteiligung. Impulse zur Weiterentwicklung in Theorie und Praxis. Eine Einladung zum Mitmachen, Diskutieren und Ausprobieren, 2022, URL: https://standards.jugendbeteiligung.de/ [eingesehen am 10.01.2025].

[3] Cuppen, Eefje: The value of social conflicts. Critiquing invited participation in energy projects, in: Energy Research & Social Science, Jg. 38 (2018), S. 28–32.

[4] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2024): Vierter Engagementbericht. Zugangschancen zum freiwilligen Engagement. Berlin 2024, URL: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/ministerium/berichte-der-bundesregierung/engagementbericht-250332 [eingesehen am 10.02.2025].

[5] Zilles, Julia: Die Folgen enttäuschter Partizipationserwartungen und Frustrationserfahrungen, in: Fink, Simon/Schwerdtfeger, Angela (Hrsg.): Politik und Recht erleben, Zukunft mitgestalten, Göttingen 2023, S. 139–144.

[6] Blum, Mareike/Colell, Arwen/Treichel, Katja: Deliberation: Neue Räume für die Aushandlung von Politikoptionen, in: Zilles, Julia/Drewing, Emily/Janik, Julia (Hrsg.): Umkämpfte Zukunft. Zum Verhältnis von Nachhaltigkeit, Demokratie und Konflikt, Bielefeld 2022, S. 293–311; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Qualitätsstandards für Kinder- & Jugendbeteiligung. Impulse zur Weiterentwicklung in Theorie und Praxis. Eine Einladung zum Mitmachen, Diskutieren und Ausprobieren, 2022, URL: https://standards.jugendbeteiligung.de/ [eingesehen am 10.01.2025].

Autorin: Julia Zilles

Inhalte, die von Dritten verfasst wurden, beruhen auf der jeweiligen fachlichen Einschätzung oder Meinung. Sie spiegeln nicht unbedingt die Haltung der LpB wider.

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Artikel-Informationen

erstellt am:
19.03.2025

Ansprechpartner/in:
Frau Dr. Daniela Kallinich

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