Let's Play Germany, Serious Games, politische Bildung. Ein Interview.
Was ist „Let’s Play Germany“?
Stefan Berendes: „Let’s Play Germany“ ist ein Projekt, das wir uns von der LAG ausgedacht haben als Pilotprojekt auch für die Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung. Uns ging es darum, mit Film und Games und der Mischung aus Film und Games einerseits mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen – über ihr Leben, über das, was ihnen wichtig ist – und das sozusagen zu beschreiben und zu illustrieren; und andererseits Fachkräften der Jugendmedienarbeit, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren Games als Arbeitsmedium und als Medium der Bildungsarbeit näher vorzustellen.
Holger Tepe: Wir holen die Jugendlichen dort ab, wo sie sind. Games ist ein Format, das sie nutzen, in dem sie vertraut sind, und vielleicht hätten wir vor zwanzig Jahren ein ähnliches Format mit Filmen gemacht, mit Filmarbeit. Wir sagen jetzt: Zeitgemäß ist es, mit Games zu arbeiten – die bieten eigentlich unendliche Möglichkeiten und das ist für uns ein großartiges Experiment.
Warum beschäftigt sich die LAG Jugend und Film mit Games?
Holger Tepe: Film und Games liegen eigentlich gar nicht so weit auseinander. Ich persönlich komme aus dem Bereich Kino; für uns war immer das interaktive Kino der große Traum, das hat es bis jetzt nicht geschafft. Games haben andere Möglichkeiten, Menschen am visuellen Bild und am Bewegtbild einzubinden und mitzunehmen.
Stefan Berendes: Was gerade für uns auch als Verband spannend ist, ist, dass bei Film und Games auf der einen Seite ganz viel vergleichbar ist, weil es da auch eine ganz verstrubbelte Geschichte gibt, wo Film und Games sich irgendwie aneinander gerieben haben und miteinander beschäftigt haben; dass es aber auch eben Bereiche gibt, wo Games ganz anders sind als Filme; und gerade an den Stellen, wo man guckt: „Was ist ähnlich, was ist ganz anders, welche Unterschiede gibt es und welche Stärken stecken da auch drin?“, dort wird es für uns als Verband natürlich extrem interessant. Wir glauben auch einfach, dass sich ein Verband, der sich mit Jugend und Medien beschäftigt und mit Jugendarbeitenden und Medien beschäftigt, heutzutage auch mit modernen Medien befassen muss; und da sind die Games eigentlich ein naheliegender Kandidat.
Was ist von dem Projekt „Let’s Play Germany“ im Gedächtnis geblieben bzw. was waren die Highlights?
Holger Tepe: So lange liegt es ja noch nicht zurück, dass wir es hätten vergessen können. Ich glaube, die Highlights sind immer die Ergebnisse, die wir hinterher gesehen haben – dass sich die Menschen, sowohl die Jugendlichen wie die Fachkräfte, damit auseinandergesetzt haben, die Freude, die sie mit der Arbeit gehabt haben, und aber auch, dass am Ende immer Produkte, kurze Filme, standen, die das noch einmal dokumentiert haben, was in dem Prozess vorher alles entstanden ist, was sie bewegt haben, was sie gedacht haben, dass sie dies sozusagen auch in eine Form gebracht haben.
Stefan Berendes: Ich habe noch zwei Highlights dazu: Ein Highlight ist, eindeutig zu sehen, dass Games an ganz vielen Stellen, wo Situationen auch schwierig sind, Sachen vereinfachen können – sei das nun in einem internationalen Jugendaustausch, den wir betreut haben, wo wir einen Workshop gemacht haben mit deutschen und ungarischen Jugendlichen, die ganz wenig miteinander sprechen konnten, weil die Sprache nicht da war, die aber ganz schnell miteinander über ein Spiel ins Gespräch gekommen sind, und dann lief das irgendwie. Die gleiche Erfahrung haben wir auch gemacht mit einer Gruppe von hörgeschädigten Jugendlichen, wo auch dieses Game als gemeinsame Plattform ganz viel erleichtert hat. Zweites Highlight: Wir machen auch immer ganz gerne Tagungen zu unseren Projekten, wo wir uns noch einmal ein bisschen inspirieren lassen, wo wir spannende Leute versuchen einzuladen und selber auch ganz viel ausprobieren, das haben wir auch bei „Let’s Play Germany“ getan; und diese zwei Tage im März/April 2017 in Wolfenbüttel in der Bundesakademie für Kulturelle Bildung, die sind uns, glaube ich, in sehr, sehr guter Erinnerung geblieben und da kommen wir immer wieder gerne zurück.
Welche Chancen seht Ihr in Games in der Bildungsarbeit? Ein bisschen habt Ihr das ja schon erwähnt – habt Ihr noch etwas Ergänzendes?
Holger Tepe: Ich glaube, dass Games noch ganz viele Möglichkeiten in der Bildungsarbeit bieten, die jetzt noch gar nicht erkannt sind. Also, man kommt letztendlich nur dahin, wenn man es ausprobiert. Ich bin mir ganz sicher, die Möglichkeiten, die Games in der politischen Bildung oder in der Bildungsarbeit haben, sind noch längst nicht gehoben.
Stefan Berendes: Was man jetzt schon sieht, ist, dass kritisch über Games zu reden einen Effekt hat; es hat einen Rieseneffekt, weil es denjenigen, die sich mit Games beschäftigen, das Gefühl gibt, dass das auch ernst genommen wird, was sie da tun; und das sind eben gerade die Jugendlichen. Es hilft aber auch, dass Games einfach besser werden, wenn Games kritisch diskutiert werden. Wenn über Inhalte, über Rollenbilder, über Elemente kritisch geredet wird, kann ein Medium nur davon profitieren. Das Andere ist, dass, glaube ich, der Einstieg selten so günstig war, mit eigenen Werkzeugen und mit eigener Arbeit jetzt auch in dem Game-Bereich zu experimentieren – auch gerade im Bildungskontext –; und ich glaube, da stecken ganz große Chancen drin, Sachen auch einfach selbst zu machen und selbst zu erfahren.
Welches Serious Game hat Euch in Eurer Arbeit am meisten geprägt?
Stefan Berendes: Ich kann mich schwer zwischen zweien entscheiden; das eine ist „Coming Out Simulator 2014“ von Nicky Case. Da geht es um ein Gespräch, welches ein junger Mann mit seinen Eltern führt, wo er ihnen seine sexuelle Identität offenbart; ein ganz simples Spiel, vermeintlich simpel – am Ende ist man trotzdem fix und fertig und hat extrem viel in extrem kurzer Zeit gelernt. Das andere ist „Orwell“ von einem deutschen Entwickler; da geht es um Ausspähen einerseits aber auch um Terrorismusprävention andererseits – ein erstaunlich faszinierendes und packendes Spiel, dem das unglaubliche Kunststück gelingt, es sich nicht einfach zu machen und zu sagen: „Das sind die Guten und das sind die Bösen“, sondern am Ende gibt es nur die Möglichkeit, sich zu verhalten, wie man es selber für richtig hält, und was dabei rauskommt, muss jeder Spieler für sich selbst erleben.
Holger Tepe: Für mich ist es sicherlich „September 12th“, ein wunderbares Game, was zeigt, wie sinnlos und wie nutzlos ein Drohnenkrieg gewesen ist; denn es kann nur Verlierer geben. Das Gute an diesem Spiel ist, dass es eigentlich von vorneherein, bevor ich es anfange zu spielen, schon sagt: „Ich kann gar nicht mehr gewinnen.“ Das Beste ist eigentlich, das Spiel gar nicht zu spielen – ich meine, das tut man natürlich nicht, aber ich finde, eindringlich oder besser kann man eine Botschaft nur schwer vermitteln.
Stefan Berendes: Und wir beide sind natürlich riesengroße Fans von „Fake It to Make It“, was es ja mittlerweile auch auf Deutsch gibt, dank der Niedersächsischen Landeszentrale und der Bundeszentrale für politische Bildung.
Gibt es irgendwelche lustigen Anekdoten aus dem Projekt „Let’s Play Germany“?
Stefan Berendes: Mir fällt etwas ein, wobei ich immer lachen muss, und zwar haben ganz oft bei Multiplikator_innen-Fortbildungen die Teilnehmenden so ein bisschen geflucht, weil sie, wenn sie Filme in einer Spielwelt aufgenommen haben, ganz große Probleme hatten, sich koordiniert zu bewegen mit den Figuren, und sich erstmal daran gewöhnen mussten. Und eine Gruppe hat, nachdem sie so frustriert versucht hat, eine Alltagssituation in einem Game zu filmen, danach einen realen Film gemacht, in dem sie sich tatsächlich als reale Menschen im Raum in diesen abgehackten, ätzenden Bewegungen bewegt haben. Als wir das dann am Ende gesehen haben, haben wir wirklich Tränen gelacht, weil das unglaublich komisch war und weil es diese Alltagssituationen – es ging um langes Anstellen im Einwohnermeldeamt – noch absurder gemacht hat, als es auch real sowieso schon ist.
Holger Tepe: Also können auch Games dazu dienen, reale Situationen kritisch, aber auch witzig und originell zu reflektieren.
Das Interview führte Alana Adamczewski. Sie hat von September 2017 bis August 2018 ihr Freiwilliges Soziales Jahr Politik in der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung gemacht.
Holger Tepe
ist erster Vorsitzender des Vorstandes der LAG Jugend und Film. Durch sein besonderes Interesse am gesellschaftspolitisch engagierten Film, kuratiert und organisiert er freiberuflich Filmreihen und –veranstaltungen. Holger Tepe ist im Vorstand des Kinobüros Niedersachsen & Bremen sowie im Aufsichtsrat der nordmedia Fonds GmbH.
Stefan Berendes
ist im Vorstand der LAG Jugend und Film. Er befasst sich als Medienpädagoge mit den Einsatzmöglichkeiten von Games in der Bildungsarbeit. Seit 2006 ist er ehrenamtliches Teammitglied beim Unabhängigen FilmFest Osnabrück