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Ein Bild lügt mehr als tausend Worte¹


Jahrzehntelang galt die Fotografie als ultimatives Abbild der Wirklichkeit. Kaum ein anderes Medium, weder Text noch Ton, gilt bis heute als so authentisch, d.h. so „echt“, und erhebt einen solchen Wahrheitsanspruch wie das Bild.
Das Bild zeigt eine Person, die anstelle des Kopfes einen Fernseher auf dem Hals trägt. Darin ist eine Person am Ende eines Tunnels zu erkennen.   Bildrechte: iStock / francescoch [M]
Vor allem in den Sozialen Medien (z.B. auf Facebook, Twitter oder Instagram) werden Bilder jedoch oftmals zur gezielten Manipulation der öffentlichen Meinung und zur Verbreitung von falschen Informationen genutzt und beeinflussen damit auch die politische Willensbildung. Manipulierende machen sich dabei zunutze, dass Menschen Bildern seit jeher besonderes Vertrauen schenken. Doch: Ist dieses Vertrauen in Bilder noch zeitgemäß? Wie manipulieren uns Bilder? Und wie können wir uns dagegen wehren? Der folgende Text versucht, Antworten auf diese gerade heute so wichtigen Fragen zu finden.

Wie und warum werden wir durch Bilder manipuliert?

Bilder sind keineswegs bloße Abbilder der Wirklichkeit, sondern werden häufig genutzt, um falsche Informationen und Eindrücke zu verbreiten und so die vermeintliche Realität nach dem eigenen Willen zu gestalten. Bereits 1926 mahnte der Schriftsteller Kurt Tucholsky:

„Und weil ein Bild mehr sagt als hunderttausend Worte, so weiß jeder Propagandist die Wirkung des Tendenzbildes zu schätzen: von der Reklame bis zum politischen Plakat schlägt das Bild zu […] und sagt […] eine neue Wahrheit und immer nur eine.“[2]

Bilder wirken auf das menschliche Gehirn ungemein real. Untersuchungen der Prozesse, die im Hirn während der Betrachtung eines Bildes ablaufen, haben gezeigt: Informationen auf Bildern werden wie Informationen aus der Realität aufgenommen.[3] Egal, ob wir die Realität oder ein Bild der (vermeintlichen) Realität betrachten: Stets werden exakt dieselben Hirnareale aktiv und die gleichen Reaktionen hervorgerufen.

Auch wenn Bilder durchaus die Realität wiedergeben können, so bieten sie uns doch meistens vielfältige Interpretationsansätze. Wenn wir ein unbearbeitetes, d.h. nicht-manipuliertes, Bild „naiv“, also möglichst unvoreingenommen, betrachten, können wir uns im Idealfall selbst für eine dieser Interpretationen entscheiden. Durch die Manipulation des Bildes wird uns jedoch ein spezifischer Interpretationsansatz aufgezwungen.


Die vier Arten der Bildmanipulation

Generell unterscheidet man vier verschiedene Arten der Bildmanipulation. So wird neben dem Bildaufbau, der Symbolisierung und der Kontextualisierung vor allem durch die klassische Retusche manipuliert. Dabei werden Details und ganze Ausschnitte aus einem Bild entfernt oder ihm hinzugefügt. Im Alltag kennt man dieses Vorgehen z.B. von Fotofiltern in den Sozialen Medien. Es kann aber auch genutzt werden, um unerwünschte Personen von Fotos zu entfernen. So ließ bspw. bereits Josef Stalin den in Ungnade gefallenen Nikolai Iwanowitsch Jeschow aus einem Pressefoto spurlos verschwinden.[4] Mithilfe moderner Technik und ausgefeilter Algorithmen ist es heute selbst Lai_innen[5] möglich, Bilder stark zu verändern. Die weitverbreitete App „FaceApp“ z.B. lässt Personen auf Bildern per Fingertipp altern. All diese Veränderungen sind ohne Kenntnis des richtigen Kontexts selten offensichtlich – meist bemerken die Betrachtenden sie gar nicht bewusst.

Die Grafik zeigt mehrere Piktogramme von Personen, die sich verschiedenartig bewegen, auf einem Skateboard, Fahrrad oder Roller. Bildrechte: IStock.com/browndogstudio
Piktogramm: abstrakte Bilder werden im Gehirn mit realen verknüpft

Die Manipulation beginnt im Auge

Haben Sie sich jemals gewundert, warum die meisten Action Blockbuster auch ohne gutes Storytelling große Erfolge erzielen können? Ein Grund dafür liegt im Sehprozess des Auges. Visuelle Informationen werden nach ihrer Relevanz für das Überleben unterschiedlichen Ebenen im Gehirn zugeordnet.[6] Wichtige, schnellbewegte Informationen (z.B. ein aus dem Gebüsch springender Panther) gelangen direkt in die Amygdala, einen Teil des Gehirns, der u.a. zuständig für die Erkennung von Gefahren ist. Hier werden die Informationen schnell bearbeitet, mit Emotionen abgeglichen und bei Gefahr in Sekundenbruchteilen die überlebenswichtige Entscheidung getroffen: Kämpfen oder Weglaufen (oder, wie es die bekanntere englische Wendung ausdrückt: fight or flight). Der_die Betrachtende befindet sich in einem Zustand höchster emotionaler Anspannung; langes Überlegen ist schlichtweg nicht möglich.

Alle anderen, weniger dringenden visuellen Informationen werden über die Sehrinde aufgenommen und länger sowie ausführlicher verarbeitet. Will der_die Urheber_in eines (bewegten) Bildes eine rational abgewogene Wahrnehmung des_der Betrachtenden verhindern, spricht er_sie gezielt Emotionen an, indem er_sie einen sehr schnellen, dynamischen Bildaufbau und/oder eine bedrohliche Symbolik einsetzt.

Eine weitere Besonderheit des menschlichen Auges ist zudem die Fähigkeit, abstrakte Darstellungen mit realistischen Abbildungen zu kombinieren. Frühkindliche Bildung ermöglicht dem Menschen, z.B. anhand einfacher Zeichnungen ein Regal zusammenzubauen oder Piktogramme zu lesen. Autor_innen können so Zusammenhänge im Gehirn des Betrachtenden entstehen lassen.

Das Portätbild zeigt einen jungen Mann, Che Guevara, der seinen Blick nach links oben richtet. Er trägt eine Mütze mit einem Stern. Bildrechte: lizenzfrei
Bildikone: Das berühmte Porträt Che Guevaras „Guerillero Heroico“ von Alberto Korda

Automatische Assoziationen

Solche bestimmte Assoziationen weckenden Bilder sind auch Bestandteile vieler gesellschaftlicher Debatten. Das berühmte Porträt Che Guevaras, „Guerillero Heroico“ von Alberto Korda (Grafik), assoziieren wir automatisch und unbewusst mit einem charismatischen Widerstandsführer – auch wenn wir kaum etwas über Guevara und seine Ideale wissen. Dieses Bild ist durch Reproduktion und Vermarktung zu einer Bildikone geworden. Einige Unternehmen, z.B. Mercedes Benz,[7] nutzten die Bekanntheit des Bildes zu Werbezwecken.

Bildikonen zeichnen sich durch ihre Popularität sowie ihre reflexartige Wiedererkennung weit über ihren Entstehungskontext hinaus aus.[8] Die genaueren Umstände und die Bedeutung des Momentes, in denen sie entstanden sind, geraten in den Hintergrund. Durch die symbolische Wirkung wird den Betrachtenden ein bestimmter Interpretationsansatz vorgegeben. Ähnlich wie mit dem Bild von Che Guevara, das viele Menschen zwar (wieder-)erkennen, aber nur wenige präzise einordnen können, verhält es sich mit dem berühmten Bild von Albert Einstein, auf dem er die Zunge herausstreckt. Gesehen hat es fast jede_r schon einmal – aber wer wüsste Genaueres über die Entstehungsgeschichte oder biografische Details aus Einsteins Leben zu berichten?


Der Kontext entscheidet

Bilder können durch die bewusst falsche Einordnung in einen bestimmten Kontext zusätzlich manipuliert werden. Eine Assoziation funktioniert so z.B. nicht nur über direkt dargestellte Bildelemente, sondern auch über Unter- und Überschriften. Auch bei dieser Art der Bildmanipulation zwingt der_die Verfasser_in den Betrachtenden einen spezifischen Interpretationsansatz auf. So können aus zunächst belanglos erscheinenden Bildern sehr polarisierende Abbildungen entstehen. Nahezu jeder Zeitungsartikel ist heute mit einem passenden Bild versehen. Um bewusste Manipulation in den Print- und Onlinemedien zu verhindern, gilt Ziffer 2 des Pressekodex:

„Ihr Sinn [von Informationen in Wort, Bild und Grafik] darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.“[9]

Im Zuge der Digitalisierung und der zunehmenden Anzahl von Bildmanipulationen haben sich zudem verschiedene Institutionen „[…]des Journalismus in einem Memorandum auf eine Kennzeichnung [M] für Bildmanipulationen geeinigt“[10].



Wie kann man sich gegen Bildmanipulation wehren?

Die 3-W-Fragen und manipulierte Muster

Professionellen Bildfälscher_innen auf die Schliche zu kommen, ist nahezu unmöglich. Zwar gibt es bereits einige auf Algorithmen basierende Software-Anwendungen, die helfen können, Manipulationen sichtbar zu machen;[11] von der Aufgabe, Bilder kritisch zu betrachten, entbinden sie uns jedoch nicht. Bevor ein Bild technisch auf Manipulation überprüft wird, sollte man sich zunächst also folgende drei W-Fragen stellen:

· Welche Aussage hat das Bild?

· Wer profitiert von einer solchen Aussage?

· Von wem wurde es veröffentlicht?

Ein wichtiger Hinweis zur Echtheit eines Bildes findet sich in dessen Ursprung. Stammt das Bild von einer offiziellen Quelle? Beantworten lässt sich diese Frage meist durch eine „reverse Bildersuche“, z.B. über Google oder Tineye. Dabei wird mit einer Suchmaschine „rückwärts“ nach der Erstveröffentlichung eines Bildes gesucht.

Das Foto zeigt einen Himmel mit Wolken unterschiedlicher Formen Bildrechte: Alexander Steding
Original: Himmel mit Wolken in zufälligen Formen

Neben einer generell kritischen Haltung und der Frage nach dem Ursprung kann vor allem das Erkennen von Mustern Aufschluss über die Echtheit eines Bildes geben. Muster in der Natur werden zum Großteil durch Chaos und Zufall bestimmt. Treten in Bildern mit Naturelementen, wie z.B. einem Wolkenhimmel, sich wiederholende Muster auf, handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Fake.

Das Foto zeigt einen Himmel mit gleichförmigen Wolken. Bildrechte: Alexander Steding [M]
Manipulation: Himmel mit gleichförmigen Wolken

Utopie durch Algorithmen

Auf Basis moderner Technik und im Zuge langwieriger Forschung haben einige Mitarbeiter_innen der Universität Berkeley in Kooperation mit Adobe („Photoshop“[12]) einen kleinen Coup gegen die Bildmanipulierer_innen gelandet. Mithilfe eines „Photoshop“-Script lassen sich Veränderungen eines Bildes, welche durch das populäre „Warp-Tool“ (das sog. Verzerren-Werkzeug) in „Photoshop“ entstanden sind, erkennen und sichtbar machen. In den meisten Fällen kann sogar ein nicht-manipuliertes Originalbild erzeugt werden. In einer Studie zeigen die Forschenden, wie präzise ihr künstliches neuronales Netz dabei im Vergleich zum Menschen vorgeht: Während Menschen die Manipulation

in etwas mehr als der Hälfte aller Fälle erkennen können (Trefferquote von 53,5 %), kommt das Script auf eine Erkennungsrate von 93,9 % – es steht auf der GitHub-Seite der Entwickler_innen kostenfrei zur Verfügung.


Was kommt nach dem Bild?

Bildmanipulation lebt von dem großen Vertrauen, das Bildern entgegengebracht wird. Je mehr Bilder manipuliert und je mehr davon durch investigativen Journalismus aufgedeckt werden, desto stärker bröckelt dieses Vertrauen allerdings. Sowohl Manipulierer_innen als auch Konsumierende widmen sich daher zunehmend einem anderen Medium: Aller Voraussicht nach wird sich das Video als neues Medium mit der höchsten zugeschriebenen Authentizität durchsetzen. Ein Video zu manipulieren, ist auf dem aktuellen Stand der Technik um ein Vielfaches schwieriger, als einzelne Bilder zu verfälschen. Allein ein zweiminütiges Video besteht aus 7.200 einzelnen Bildern[13]. Ist nur eines davon zu offensichtlich manipuliert, zerbricht die Illusion der Echtheit.

Jenseits der mehr oder weniger simplen Bearbeitung gibt es allerdings weitere Videomanipulationstechniken. Hier ist auf dem Feld der Künstlichen Intelligenz rund um das Schlagwort DeepFake viel in Bewegung.






[1] Der Titel ist ein Zitat von: Panter, Peter (= Kurt Tucholsky): Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, in: Uhu, H. 2/1926,F S. 75.

[2]
Vgl. Deussen, Oliver: Bildmanipulation – Wie Computer unsere Wirklichkeit verzerren, Heidelberg 2007, S. 30.

[3]
Vgl. King, David: Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulation in der Sowjetunion, Hamburg 1997, S. 13.

[4] Vgl. King, David: Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulation in der Sowjetunion, Hamburg 1997, S. 13.

[5] Anmerkung der Redaktion: Sprache formt unsere Wirklichkeit – deshalb nutzt die Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung (LpB) gendergerechte Sprache. Wenn wir über Menschen schreiben, möchten wir verdeutlichen, dass alle gemeint sind. Mehr dazu hier.

[6]
Vgl. Deussen, Oliver: Bildmanipulation – Wie Computer unsere Wirklichkeit verzerren, Heidelberg 2007, S. 14.

[7]
Siehe Henry, Jim: That Famous German Humor: Che Guevara Sight Gag at CES Offends Some Stateside Cubans, in: FORBES.com, 13.01.2012, URL: https://www.forbes.com/sites/jimhenry/2012/01/13/that-famous-german-humor-che-guavera-sight-gag-at-ces-offends-some-stateside-cubans/#98528539e453 [eingesehen am 12.07.2019].

[8]
Hornbostel, Anja: Bilder, die Geschichte machten. Ikonen der Zeitgeschichte, München 2011, S. 23.

[9]
Presserat: Der Pressekodex, Ziffer 2.2, in: presserat.de, URL: https://www.presserat.de/pressekodex/pressekodex/#panel-ziffer_2____sorgfalt [eingesehen am 24.06.2019].

[10]
Raddatz, Christoph: Bildmanipulation aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts – Vertrauensverlust durch mediale Täuschungen der Rezipienten, Gröditz 2009, S. 34.

[11]
Vgl. Lischka, Konrad: Bildmanipulation – Simpel-Software soll Fotofälscher aufspüren, in: Spiegel Online, 29.05.2010, URL: https://www.spiegel.de/netzwelt/web/bildmanipulation-simpel-software-soll-fotofaelscher-aufspueren-a-697283.html[eingesehen am 24.06.2019].

[12]
„Photoshop“ ist ein weitverbreitetes professionelles Bildbearbeitungsprogramm des Softwareherstellers Adobe.

[13] 2 Min. ≜ 120 Sek. Bei sechzig Bildern pro Sekunde ergibt sich: 120 Sek. * 60 Bilder pro Sekunde = 7.200 Bilder.



Autor: Alexander Steding

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