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Rechtspopulismus und Demokratie


Der Begriff des Rechtspopulismus ist in aller Munde. Spätestens seit dem rasanten politischen Aufstieg der Alternative für Deutschland (AfD) wird auch hierzulande über die Ursachen und Folgen des Rechtspopulismus intensiv diskutiert und gestritten. Dabei ist jedoch nicht immer klar, was mit dem Begriff genau gemeint ist. In politischen Diskussionen etwa wird die Bezeichnung „rechtspopulistisch“ oftmals polemisch gebraucht, um bestimmte Politiker_innen[1] und Parteien als demokratiefeindlich zu kritisieren und aus dem politischen Diskurs auszuschließen.[2] Zugleich wird der Begriff zur Analyse bestimmter politischer Phänomene benutzt. Doch auch hier gibt es Unterschiede und Uneinigkeiten. Die eine versteht unter Rechtspopulismus einen politisch-kommunikativen Stil, der andere eine bestimmte Strategie zur politischen Mobilisierung von Unterstützer_innen, wieder andere beschreiben damit eine bestimmte Ideologie oder Politikvorstellung.[3]
Foto abstrakt   Bildrechte: Pixabay
Auch in der wissenschaftlichen Debatte hat sich bislang keine allgemeingültige Definition von „Rechtspopulismus“ herausgebildet; einige Autor_innen lehnen den Begriff sogar vehement ab.[4] Dennoch lassen sich Kernmerkmale bestimmen und dadurch definieren, was eigentlich „rechts“ und „populistisch“ am Rechtspopulismus ist. Kurz gesagt, wendet sich Rechtspopulismus aus der Warte des „Volkes“ sowohl gegen „die da oben“ als auch gegen „die da draußen“.[5]


Für das Volk - gegen die Eliten und die Anderen

Zentral für populistische Politikvorstellungen – ganz gleich ob linker oder rechter Ausprägung – ist die Idee eines fundamentalen Widerstreits zwischen einfachem Volk und politischer Elite.[6] Populist_innen formulieren eine harsche Kritik am politischen Establishment in Parteien und Regierung. Diesem werfen sie vor, korrupt, egoistisch und inkompetent zu agieren – und insofern als demokratisch gewählte Repräsentant_innen des Volkes zu versagen. Hierdurch verliere das Volk seine Souveränität und die Regierung ihre demokratische Legitimität.[7]

Dabei beziehen sich Populist_innen auf die Vorstellung eines homogenen und moralisch reinen Volkes, das durch einen einheitlichen Volkswillen geeint sei – womit die tatsächliche Vielfalt gesellschaftlicher Interessen und Positionen allerdings ignoriert wird. Dennoch behaupten Populist_innen, den Volkswillen mit Rückgriff auf den gesunden Menschenverstand erkennen und als einzige Kraft authentisch repräsentieren zu können.[8] Auf diese Weise verspricht Populismus, die Volkssouveränität wiederherzustellen. Damit verbunden ist oftmals die Forderung nach Einführung bzw. Ausweitung direktdemokratischer Einflussmöglichkeiten, um politische Debatten und Konflikte zugunsten der Mehrheitsposition zu entscheiden. Zumeist wendet sich Populismus auch gegen die Institutionen der Europäischen Union, die für den Verlust nationalstaatlicher Souveränität verantwortlich gemacht wird, sowie gegen die Medien, denen vorgeworfen wird, mit den politischen Eliten zu kooperieren.

Diese Grundformel des Populismus findet sich historisch und geografisch in verschiedenen politischen Ausprägungen.[9] So ist etwa in Südamerika wie auch in Südeuropa eine sozialistisch inspirierte Form des Populismus verbreitet, der sogenannte Linkspopulismus. In Nord-, Mittel- und Osteuropa hat sich dagegen der sogenannte Rechtspopulismus durchgesetzt, in welchem sich populistische Politikauffassungen mit rechten und fremdenfeindlichen Orientierungen vermischen.

Die populistische Elitenkritik verschmilzt mit einer scharfen Abgrenzung der Angehörigen des eigenen Volkes von (fremden) Anderen. Letztere gelten dabei pauschalisierend als Bedrohung für die Interessen und die kulturelle Identität des eigenen Volkes.[10]

Als äußere Bedrohungen betrachtet werden hierbei vor allem Migrant_innen und Asylsuchende, insbesondere aus muslimisch geprägten Ländern, deren kulturelle Andersartigkeit zu „Überfremdung“ und Identitätsverlust der angestammten Bevölkerung führe, was durch eine restriktive Migrationspolitik verhindert werden müsse.

Als innere Bedrohung werden ethnische, religiöse oder sexuelle Minderheiten sowie liberale und linke Parteien und Bewegungen wahrgenommen, die als zentrale politische Gegner_innen in einem Kulturkampf um die Identität des eigenen Volkes gelten.[11]

Den Abwehrkampf gegen Migration flankieren Rechtspopulist_innen mit einem Set konservativer Forderungen – etwa nach einer restriktiveren Innenpolitik oder dem Erhalt traditioneller Geschlechter-, Familien- und Gemeinschaftsmodelle – sowie mit politisch-historischen Debatten über die Wichtigkeit von Nation, Heimat und Regionalkultur.

Ursachen für den Aufstieg des Rechtspopulismus

Die Ursachen von Populismus werden grundsätzlich in Modernisierungsprozessen verortet, die sich vor allem im Kontext der Globalisierung zu übergreifenden ökonomischen, kulturellen und politischen Krisen zuspitzen.[12] Dies meint: Gesellschaftliche Veränderungen verschiedenster Art, etwa in der Arbeits- oder Lebenswelt, lösen Unbehagen, Unzufriedenheit und Verunsicherung bei denjenigen Menschen aus, die sich an den Wandel nicht hinreichend anpassen können oder wollen, mithin: von ihm möglicherweise auch nicht profitieren. In diesem Zusammenhang wird oftmals von Modernisierungsverlierer_innen gesprochen. Dabei geht es nicht allein um die in der gesellschaftlichen Mitte grassierenden ökonomischen Abstiegsängste sowie um gebrochene Aufstiegsversprechen seitens der Sozialdemokratie[13], sondern auch um kulturelle Verunsicherung und Entfremdungsgefühle, die insbesondere im Zuge des Wandels zu zunehmend multiethnisch und -kulturell geprägten Gesellschaften an Relevanz gewinnen.[14]

Wenn sich soziale Probleme und politische Konflikte zuspitzen und von den etablierten Parteien sowie der Regierung nicht hinreichend bearbeitet und aufgelöst werden, entstehen (partei-)politische Repräsentationslücken.[15] Diese ermöglichen den Rechtspopulist_innen, sich als grundsätzliche politische Alternative zu positionieren, indem sie virulente Themen und Konflikte mit ihrer populistischen Grundsatzkritik verknüpfen.

Dabei vereinfachen sie zumeist komplexe politische Probleme, vor allem wenn sie Migrant_innen als Ursachen und Hauptschuldige für unliebsame gesellschaftliche Veränderungen benennen.[16] Zugleich stiften Populist_innen in bestimmten Bevölkerungsgruppen mit ihrem Rekurs auf das Volk Orientierung, Sicherheit und Identität. Auf diese Weise sprechen Rechtspopulist_innen nicht nur Wähler_innen aus verschiedenen sozialen Schichten, sondern auch aus verschiedenen politischen Lagern an: Neben vormaligen Nichtwähler_innen gewinnen aufstrebende rechtspopulistische Parteien zumeist sowohl ehemalige Wähler_innen von Mitte-rechts- und konservativen als auch von linken Parteien, deren Anhänger_innen sich in kultureller Hinsicht in ihren konservativ-autoritären Orientierungen teils ähneln.[17]

Rechtspopulismus und Demokratie

Das Verhältnis des Rechtspopulismus zur Demokratie ist komplex. Anders als beim Rechtsextremismus wollen seine Vertreter_innen die demokratische Ordnung nicht abschaffen, sondern diese vorgeblich sogar erneuern. Tatsächlich beziehen sich Rechtspopulist_innen auf grundsätzliche und aktuelle Probleme liberaler Demokratien, die als Krise der Repräsentation, Partizipation und Souveränität beschrieben werden.[18] Dabei nutzt der Rechtspopulismus grundsätzlich eine latente Spannung aus, die in liberalen Demokratien angelegt ist[19]: Besagt doch das Prinzip der Volkssouveränität, dass die politische Macht beim Volk liegt und im Rahmen von Wahlen nur temporär an politische Repräsentant_innen übergeben wird.

Dem gegenüber stehen die als Konstitutionalismus bezeichneten Grund- und Freiheitsrechte im Rechtsstaat, die Individuen schützen und die Macht des Staates begrenzen. Diese sind in der Verfassung festgeschrieben und der Volkssouveränität entzogen, um eine Tyrannei der Mehrheit gegenüber Minderheiten zu verhindern. Der Rechtspopulismus nutzt die latente Spannung zwischen diesen Prinzipien und den damit verbundenen Ansprüchen der Bürger_innen, indem er die Volkssouveränität überbetont und etwa auf direktdemokratische Mehrheitsentscheidungen drängt, während Relevanz und Geltung von Grundrechten dabei oftmals ignoriert und missachtet werden.

Vor diesem Hintergrund fällt die demokratietheoretische Bewertung des Rechtspopulismus ambivalent aus.[20]Für die Entwicklung von Strategien zum Umgang mit Rechtspopulismus ist das von großer Bedeutung: Denn fraglos hebt Rechtspopulismus immer wieder politisch vernachlässigte Fragen und Themen auf die Agenda und trägt so zur Offenhaltung der demokratischen Debatte bei. Auch gelingt es rechtspopulistischen Parteien oftmals, sozial und politisch exkludierte Gruppen zur Wahl zu mobilisieren und auf diese Weise demokratisch zu integrieren. So trägt Rechtspopulismus dazu bei, soziale und politische Repräsentationsdefizite abzubauen und Veränderungen im politischen System anzustoßen.

Zugleich zeitigt Rechtspopulismus aber auch eine ganze Reihe problematischer Effekte. Die pauschale Verdammung der politischen Elite richtet sich gegen konstruktive und kompromissorientierte Aushandlungsprozesse, wodurch sie mit Prinzipien und Praktiken des demokratischen Pluralismus kollidiert. Die Überbetonung des Prinzips der Volkssouveränität läuft den in der Verfassung festgeschriebenen Freiheits- und Minderheitsrechten zuwider. Die von Rechtspopulist_innen vertretene Vorstellung von einem homogenen Volk ist antipluralistisch, oftmals sogar offen fremdenfeindlich und steht der tatsächlichen gesellschaftlichen Vielfalt entgegen. Schließlich: Die mit dem Erfolg des Rechtspopulismus einhergehende kulturelle Polarisierung und Erweiterung des Parteienspektrums erschwert die Bildung stabiler Regierungsbündnisse ganz erheblich.





[1] Anmerkung der Redaktion: Sprache formt unsere Wirklichkeit – deshalb nutzt die Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung (LpB) gendergerechte Sprache. Wenn wir über Menschen schreiben, möchten wir verdeutlichen, dass alle gemeint sind. Mehr dazu hier.
[2] Vgl. Jörke, Dirk/Selk, Veith: Theorien des Populismus zur Einführung, Hamburg 2017, S. 10 f.
[3] Vgl. Mudde, Cas/Kaltwasser, Christóbal Rovira: Populism. A Very Short Introduction, Oxford 2017, S. 3 ff.
[4] Siehe Minkenberg, Michael: Was ist Rechtspopulismus?, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS), Jg. 59 (2018), H. 2, S. 337–352.
[5] Siehe Lewandowski, Marcel: Was ist und wie wirkt Rechtspopulismus?, in: Bürger&Staat, H. 1/2017, S. 4–11.
[6] Vgl. Müller, Jan-Werner: Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin 2016, S. 42 ff.
[7] Vgl. Jörke/Selk, a.a.O., S. 52 ff.
[8] Vgl. Mudde/Kaltwasser, a.a.O., S. 16 ff.
[9] Vgl. ebd., S. 21 ff.
[10] Vgl. Jörke/Selk, a.a.O., S. 69 f.
[11] Vgl. Priester, Karin: Rechtspopulismus – ein umstrittenes theoretisches und politisches Phänomen, in: Virchow, Fabian/Langebach, Martin/Häusler, Alexander (Hrsg.): Handbuch Rechtsextremismus, Wiesbaden 2016, S. 533–560, hier S. 546.
[12] Vgl. Spier, Tim: Populismus und Modernisierung, in: Decker, Frank (Hrsg.): Populismus. Gefahr für die Demo-kratie oder nützliches Korrektiv?, Wiesbaden 2006, S. 33–58 sowie Decker, Frank: Die populistische Herausfor-derung. Theoretische und ländervergleichende Perspektiven, in: ebd., S. 9–32.
[13] Vgl. Nachtwey, Oliver: Die Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne, Berlin 2016.
[14] Vgl. Decker, Frank: Was ist Rechtspopulismus?, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS), Jg. 59 (2018), H. 2, S. 353–369, hier S. 357.
[15] Vgl. Mudde/Kaltwasser, a.a.O., S. 101 f.
[16] Vgl. Lochocki, Timo: Immigrationsfragen: Sprungbrett rechtspopulistischer Parteien, in: Aus Politik und Zeitge-schichte (APuZ), H. 5–6/2012, S. 30–36.
[17] Vgl. Decker: Was ist Rechtspopulismus?, a.a.O., S. 358 f.
[18] Hiermit gemeint sind die allgemeine Erosion und die schwindende politische Integrationskraft insbesondere der Volksparteien, das zunehmende Defizit in der Repräsentation sozial Schwacher sowie der staatliche Verlust an Souveränität gegenüber transnationalen Organisationen wie der EU; vgl. Priester, Karin: Das Syndrom des Populismus, in: bpb.de, 16.01.2017, URL: http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/240833/das-syndrom-des-populismus [eingesehen am 02.10.2018].
[19] Vgl. Mudde/Kaltwasser, a.a.O., S. 81 ff. sowie Jesse, Eckard/Panreck, Isabelle-Christine: Populismus und Extre-mismus. Terminologische Abgrenzung – das Beispiel der AfD, in: Zeitschrift für Politik (ZfP), Jg. 64 (2017), H. 1, S. 59–76.
[20] Zum Überblick vgl. Mudde/Kaltwasser, a.a.O., S. 80 ff. sowie Decker: Was ist Rechtspopulismus?, a.a.O., S. 365 ff.
Der Autor   Bildrechte: Alexander Hensel

Autor: Alexander Hensel

Alexander Hensel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

Artikel-Informationen

erstellt am:
25.03.2019
zuletzt aktualisiert am:
17.01.2020

Ansprechpartner/in:
Frau Dr. Daniela Kallinich

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