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Internet und Digitalisierung als Gefahren für die Demokratie?

Prof. Schünemann gibt einen Überblick über empfundene Bedrohungen und echte Herausforderungen


Anfang 2017: Deutschland und andere europäische Länder befanden sich im Vorwahlkampf. Die politischen Ereignisse des Vorjahres (Stichworte: Trump-Wahl, Brexit) hatten zu großen Irritationen in der politischen und medialen Debatte geführt, welche die Stimmung im Land prägten. Vor diesem Hintergrund können wir uns heute geradezu glücklich schätzen, dass das von vielen gezeichnete Schreckensszenario nicht eingetreten ist. Denn damals mischte sich unter die allgemeinen Klagen über den Eintritt in ein so genanntes postfaktisches Zeitalter eine bunte Sammlung an Befürchtungen, die sich auf unterschiedliche mit der Digitalisierung politischer Kommunikation verknüpfte Phänomene bezog.

Die klassischen Medien griffen diese Ängste auf und warnten ihrerseits vor der „digitale[n] Gefahr im Wahlkampf“ durch Fake News und Social Bots (mdr aktuell online, 30.5.2017), befassten sich mit „Polit-Hacks“ und Cyberangriffen. Schließlich verlieh selbst der Bundeswahlleiter der Sorge öffentlich Ausdruck, Fake News würden den Wahlkampf beeinflussen (focus online, 1.1.2017). Die politischen Akteure reagierten verschiedentlich auf die öffentliche Debatte. Vor allem brachte die Bundesregierung mit Blick auf Hasskriminalität und Hetze, aber auch die Verbreitung von Falschinformationen, ein umstrittenes Gesetz zur Regulierung von Content in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) durch das Parlament.

Im Rückblick auf die verschiedenen Wahlen in Deutschland zeigt sich zu Beginn des Jahres 2018 jedoch, dass die Befürchtungen weitgehend unbegründet waren. Aufregung und Aufmerksamkeit haben sich spürbar gelegt. Dennoch: Der Zweifel an den positiven Effekten digitaler Kommunikation bleibt und steht in starkem Kontrast zu den geradezu euphorischen Erwartungen an das Internet und die sozialen Medien in der Vergangenheit. Übertriebene Euphorie – so scheint es – hat womöglich ebenso übertriebener Ernüchterung Platz gemacht. Vor diesem Hintergrund ist es geboten, die im Umlauf befindlichen diffusen Problemdiagnosen zugunsten einer differenzierteren Betrachtung auseinanderzulegen und die Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Demokratie nüchtern zu bewerten. Insbesondere dies soll dieser Kurzbeitrag im Folgenden leisten.
  Bildrechte: Quelle: Pixabay
Fake News

Worüber reden wir? Besondere Aufmerksamkeit haben in Deutschland in den vergangenen Monaten Fake News erhalten. Der Begriff ist in der wissenschaftlichen Literatur umstritten, weil darunter sehr vieles gefasst wird. Zudem wird er vermehrt dazu genutzt, um den politischen Gegner, meist das sog. Establishment und die etablierten Medien, zu diskreditieren. So sprechen etwa Donald Trump in den USA oder die Alternative für Deutschland (AfD) in Deutschland von Fake News, wenn Sie die Berichterstattung der Qualitätsmedien kritisieren.

Grundlegend zu unterscheiden ist zunächst zwischen versehentlichen Falschmeldungen und Fehlern, die eher als Missinformation bezeichnet werden, und gezielten Akten der Desinformation. Nur bei Letzteren werden Gerüchte, Verleumdungen etc. im Gewand von Nachrichten veröffentlicht, um Nutzerinnen und Nutzer bewusst in die Irre zu führen, Meinungen und Stimmungen zu beeinflussen.

Ist das für die Demokratie gefährlich?
Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob es sich eigentlich um ein neues Phänomen handelt. Akte der gezielten Desinformation hat es auch in Zeiten nicht-digitaler Kommunikation gegeben. Die tatsächliche Qualität der Bedrohung hängt von der Skalierbarkeit und der (Un-)Möglichkeit der Kontrolle ab. Tatsächlich bietet die Internetkommunikation, bieten insbesondere die sozialen Medien die Voraussetzungen dafür, dass Inhalte sehr leicht publiziert werden können und sich gerade simplistische, verzerrende oder schlicht falsche Meldungen viral verbreiten. Solange Fake News aber insgesamt weiterhin nur einen kleinen Teil der politischen Informationsversorgung beeinträchtigen, Desinformation also in einem Meer von korrekten und glaubwürdigen Informationen zirkuliert, dann steht die Aufmerksamkeitsökonomie einer starken Wirkung von Fake News entgegen. Entsprechend nüchtern hat ein viel zitiertes Forschungspapier ausgerechnet zum US-amerikanischen Wahlkampf geschlussfolgert [1]. Allerdings könnten strukturelle Veränderungen politischer Öffentlichkeit, die unter dem Schlagwort Echokammern [2] diskutiert werden – gemeint ist die Herausbildung von Kommunikationsnetzwerken relativ Gleichgesinnter, wodurch es zur Verstärkung extremer Positionen und zur Polarisierung der politischen Debatte insgesamt kommen kann –, die Effekte von Fake News für bestimmte, für die klassische Medienberichterstattung immer schwerer erreichbare Gruppen (z.B. Jugendliche und junge Erwachsene) auf längere Sicht vergrößern.

Was ist zu tun? Die Debatten um Fake News und gezielte Manipulationen der demokratischen Öffentlichkeit scheinen durchaus bereits zu einem Bewusstseinswandel geführt zu haben: Die Qualität von Informationen wird stärker vom verlässlichsten Indikator, nämlich der Vertrauenswürdigkeit der Quelle, abhängig gemacht. Medienorgane werden ihrerseits selbstbewusster und geben ihre Autorenschaft unter Inhalten, die digital publiziert werden, an. News-Aggregatoren wie die sozialen Netzwerke haben ebenfalls reagiert und Quellenhinweise eingefügt oder sie versuchen Fake News zu identifizieren. Ob dies zu einer nachhaltigen Umkehr des Nutzungsverhaltens führt, bleibt abzuwarten.
Cyberangriffe

Worüber reden wir? Eine weitere Sorge betraf Cyberangriffe, hier überwiegend solche, die dem Datendiebstahl dienten. Prominentestes Beispiel ist der so genannte DNC Hack. Mutmaßlich russische Hacker drangen in die Server der Demokratischen Partei in den USA ein und erbeuteten dort über 19.000 E-Mails. Diese legten zum Teil peinliche Details über die Aktivitäten der Parteizentrale gegenüber der Kampagne des demokratischen Herausforderers von Hillary Clinton für die Präsidentschaftskandidatur, Bernie Sanders, offen. Die Dokumente wurden u.a. an Wikileaks weitergeleitet und vor der Präsidentschaftswahl auf der Plattform veröffentlicht. Dies hat mutmaßlich einen gezielt herbeigeführten Schaden für die Kampagne von Hillary Clinton bedeutet. Eine ähnliche Ereigniskette, wenngleich mit weit geringeren Auswirkungen, war auch im französischen Präsidentschaftswahlkampf zu beobachten. Auch hier wurden E-Mails aus dem Lager des heutigen Präsidenten Emmanuel Macron gestohlen und im unmittelbaren Vorfeld der Wahl veröffentlicht.

Ist das für die Demokratie gefährlich? Um die Gefahr richtig einordnen zu können, ist es zunächst wichtig, die zwei Stufen dieser Akte zu unterscheiden: den Datendiebstahl und die anschließende Veröffentlichung. Datendiebstähle sind illegal. Sie müssen verfolgt und geahndet werden. Die Veröffentlichung gestohlener Dokumente, also Whistleblowing, ist grundsätzlich anders zu bewerten, wie prominente Fälle (Chelsea Manning, Edward Snowden) gezeigt haben. Die Veröffentlichung kann durchaus im Interesse der Öffentlichkeit sein. Insbesondere handelt es sich im Unterschied zu Fake News nicht um falsche, sondern in den meisten Fällen um richtige Informationen, so dass wir nicht über Desinformation, sondern über womöglich verzerrte oder einseitige Arten von Aufklärung sprechen können. Hier sind es also die angenommenen Begleitumstände, die die illegalen Akte des Datendiebstahls und ihre Veröffentlichungsfolgen womöglich zu einem Demokratieproblem werden lassen. Denn nach allgemeiner Auffassung sind die vergleichbaren Attacken der jüngsten Vergangenheit auf die russische Staatsführung zurückzuführen, die auf diese Weise gezielt versucht haben, Wahlen und Wahlergebnisse in anderen Ländern zu beeinflussen. Im Falle des DNC Hack gilt der russische Ursprung als gesichert. Inwiefern der Angriff allerdings mit Billigung oder gar Steuerung der russischen Regierung durchgeführt wurde, ist noch nicht vollends geklärt und vielleicht niemals zu klären. Damit weist der Aspekt auf ein allfälliges Problem im Bereich Cybersicherheit, das Attributionsproblem.

Was ist zu tun? Eigentlich können alle Nutzerinnen und Nutzer ihre Systeme nur besser schützen. Politische Programme können diesen Schutz fördern (etwa durch Verschlüsselung, die aber nicht unbedingt im Interesse staatlicher Ermittlungsbehörden liegt). Ist ein Angriff erfolgt, sollten Informationsaustausch und Strafverfolgung betrieben werden, um der Täterschaft habhaft zu werden. Weitergehende politische Maßnahmen erzeugen bei unklarer Attribution womöglich Verschlechterungen der internationalen Beziehungen.
Hasskriminalität und Hetze

Worüber reden wir? Hasskriminalität und Hetze sind Straftatbestände. Sie gehören bekämpft, wenn sie in der Online-Kommunikation vermehrt vorkommen. Zwischen Beleidigungen und Angriffen gegen einzelne Personen und der Hetze gegen Gruppen und Minderheiten – als Erscheinungsformen einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit [3] – ist eine feine Unterscheidungslinie zu ziehen.

Ist das für die Demokratie gefährlich? Der demokratische Diskurs kann durch eine Verbreitung nicht-zivilisierter Formen der Auseinandersetzung erheblichen Schaden nehmen. Die Frage, ob ein Zuwachs unzivilisierten Sprechens so pauschal diagnostiziert werden kann, ist durch wissenschaftliche Arbeiten noch nicht geklärt.

Was ist zu tun? Die strafrechtliche Verfolgung ist der grundsätzlich richtige Weg, um den einzelnen strafbaren Handlungen zu begegnen. Der Weg über eine gesetzlich vereinbarte Form der Content-Regulierung führt auf unsicheres Terrain, wie die Kontroverse über das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz gezeigt hat. Inwiefern ein Post illegal ist oder nicht, wird im Zweifelsfall nicht einfach zu bestimmen sein. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verlangt in Form der delegierten Content-Regulierung aber von Inhalteanbietern im Netz, also etwa sozialen Netzwerken, Inhalte, die offensichtlich gegen Recht verstoßen, binnen 24 Stunden zu entfernen. Da die Vorschrift sanktionsbewehrt ist, sorgen sich Kritikerinnen und Kritiker wegen der Gefahr eines sog. Overblocking. Schließlich könnten sich Unternehmen genötigt sehen, zweifelhafte Inhalte voreilig zu löschen, um einer genaueren Prüfung und ggf. Sanktionen zu entgehen.
Social Bots

Worüber reden wir? Social Bots sind Computerprogramme, die in der Internetkommunikation über automatisch generierte oder gestreute Inhalte wie Menschen agieren und mit echten Kommunikationsteilnehmerinnen und -teilnehmern in Austausch treten. Die Hürden zum Einsatz von Bots sind mittlerweile gering, denn es sind zahlreiche Open-Source-Programme zur einfachen Handhabung verfügbar [4]. Es gibt allerdings unterschiedliche Arten von Bots. Dies äußert sich u.a. in der Art ihrer „Bauart“: Sie können einfacher oder komplizierter konstruiert sein. Sie sind dementsprechend auch unterschiedlich schwierig zu erkennen, funktionieren besser oder schlechter. So zeigen Untersuchungen, dass Bots auf Facebook schlechter funktionieren als auf Twitter, so dass letztere Plattform das vorrangige Einsatzfeld von Social Bots darstellt. Social Bots auf Twitter sind im Rahmen politischer Debatten nachweislich in den Fällen der Ukraine-Krise, der Brexit-Kampagne sowie im zurückliegenden US-Präsidentschaftswahlkampf aufgetreten.

Ist das für die Demokratie gefährlich? Über die tatsächliche Wirksamkeit von Social Bots wie auch über ihre sichere Detektion gibt es keine verlässlichen Erkenntnisse. Eine entsprechend schwer zu bestimmende Gefahr für die Demokratie wäre allenfalls in Kombination mit der Verbreitung von Fake News anzunehmen. Allerdings ist hier zu bedenken, dass Bots vielfach untereinander Netzwerke bilden und sich echte Nutzerinnen und Nutzer nur sehr unwahrscheinlich durch Freundschafts- oder Follower-Beziehungen dauerhaft an diese binden. Durch die Bedeutung von Kennzahlen (Follower, Likes etc.) für die Aufmerksamkeitsökonomie in der digitalisierten Kommunikation sind dennoch mittelbare Effekte auf die demokratische Debatte und die öffentliche Meinung zu erwarten [5].

Was ist zu tun? Verlässliche technische Werkzeuge zum Erkennen von Bots gibt es noch nicht. Allerdings ist ein Großteil der Bot-Aktivität durch menschliche Nutzerinnen und Nutzer leicht zu identifizieren. Insofern kann die Empfehlung gelten, sowohl bei Betrachtung des eigenen Newsfeeds als auch bei der Bewertung von Kennzahlen in der Internetkommunikation Vorsicht walten zu lassen und zweimal hinzuschauen. Dies betrifft nicht nur, aber auch die politische Kommunikation.
Fazit

Die aktuelle Debatte thematisiert eine Vielfalt von neuen oder in ihrer Brisanz verstärkten Phänomenen politischer Kommunikation unter den Einflüssen der Digitalisierung. Das gesteigerte gesellschaftliche Problembewusstsein, das sich darin niederschlägt, ist prinzipiell zu begrüßen. Für einen aufgeklärten Umgang mit diesen Erscheinungsformen digitalen Wandels und eine realistische Einschätzung der Bedrohung demokratischer Prozesse ist es aber nötig, zwischen den einzelnen Gegenständen, ihren Voraussetzungen und Auswirkungen behutsam zu unterscheiden. Dies ist insbesondere von Bedeutung, weil aus einer überreizten Stimmungslage hervorgehende Rufe nach politischen Gegenmaßnahmen nicht beabsichtigte Folgen für die Meinungsfreiheit und die Demokratie, aber auch die internationalen Beziehungen haben können.
Fußnoten

[1] Allcott, Hunt; Gentzkow, Matthew: Social Media and Fake News in the 2016 Election, in: Journal of Economic Perspectives 31 (2017), H. 2, S. 211–236. DOI: https://doi.org/10.1257/jep.31.2.211.

[2] Sunstein, Cass R.: Republic.com 2.0, Princeton 2009. URL: http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=581662 [eingesehen am 02.03.2018].

[3] Groß, Eva; Zick, Andreas; Krause, Daniela: Von der Ungleichwertigkeit zur Ungleichheit. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 62 (2012), H.16-17, S. 11–18, URL: http://www.bpb.de/apuz/130404/von-der-ungleichwertigkeit-zur-ungleichheit-gruppenbezogene-menschenfeindlichkeit [eingesehen am 06.02.2018].

[4] Vgl. Schönleben, Dominik: Welche Social Bots gibt es und wie funktionieren sie? URL: https://www.wired.de/collection/tech/welche-social-bots-gibt-es-und-wie-funktionieren-sie [eingesehen am 02.03.2018].

[5] Hegelich, Simon; Janetzko, Dietmar: Are Social Bots on Twitter Political Actors? Empirical Evidence from a Ukranian Social Botnet (Proceedings of the Tenth International AAAI Conference on Web and Social Media (IC-WSM 2016)), URL: https://www.aaai.org/ocs/index.php/ICWSM/ICWSM16/paper/view/13015/12793 [eingesehen am 10.01.2018]; Kind, Sonja; Bovenschulte, Marc; Ehrenberg-Silies, Simone; Jetzke, Tobias; Weide, Sebastian: Social Bots. Thesenpapier zum öffentlichen Fachgespräch »Social Bots – Diskussion und Validierung von Zwischenergebnissen« am 26. Januar 2017 im Deutschen Bundestag. Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. URL: https://www.tab-beim-bundestag.de/de/aktuelles/20161219/Social%20Bots_Thesenpapier.pdf [eingesehen am 02.03.2018].


Porträt von Prof. Dr. Wolf J. Schünemann   Bildrechte: Uni Hildesheim/Lange

Foto: Uni Hildesheim/Lange

Prof. Dr. Wolf J. Schünemann

ist Autor dieses Beitrags. Er ist Juniorprofessor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politik und Internet an der Universität Hildesheim.

Erscheinungstermin des Beitrags: April 2018

Artikel-Informationen

erstellt am:
18.04.2018
zuletzt aktualisiert am:
27.05.2021

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